Dienstag, 26. Mai 2009

Nachrichten aus dem Himmel


Ich befinde mich wieder in Europa. Beziehungsweise über Europa – über Südfrankreich, 658 Kilometer von Frankfurt entfernt. Ich habe ein wenig geschlafen, ohne die Businessklass verkrampft man im Flugzeug dabei ganz schön. Ist mir früher nie aufgefallen...

Immerhin habe ich zwei Sitze für mich alleine, so dass ich mich in Fötusstellung zusammenkauern und hinlegen konnte. Im Bord-Programm gab es Mr. Und Mrs. Smith (5/10 – nett, aber wirklich nicht besser als durchschnittlich), auf meinen Ohren gerade das neue Green Day Album (die konsequente „American Idiot“-Fortsetzung, allerdings nicht ganz so gut).

Ich war lange nicht mehr so traurig, eine Stadt verlassen zu müssen. 2 1/2 Tage Rio sind einfach zu wenig. Das fühlt sich so an, als würde man ein Stück Schokolade bekommen, dürfte kurz daran lutschen und müsste es dann wieder ausspucken. Aber sich jetzt zu beschweren, ist natürlich nicht angebracht. Die 2 1/2 Tage waren so voll gepackt wie ein ganzer Urlaub – ein absolut großartiges Programm, das gestern seinen perfekten Abschluss fand.

Trotz seiner Schönheit fehlte mir in Rio die ganze Zeit das Klischee, von dem ich schon vor ein paar Tagen geschrieben habe: Brasilianerinnen mit Federschmuck auf dem Kopf, die mit Rasseln durch die Straßen ziehen. Klar ist das albern. In Köln rennen ja auch nicht das ganze Jahr über Tanzmariechen durch die Stadt (die Bläck Fööss dagegen schon – irgendwie unfair). Aber ein wenig Karneval will man doch haben, wenn man schon mal in Rio ist. Und wir bekamen ihn.

Wir besuchten eine Sambaschule. Wer sich darunter eine Tanzschule vorstellt, liegt falsch. Die Sambaschulen bauen die Wagen für die große Parade am Karneval. Eine Jury bewertet die Wagen und entscheidet jedes Jahr, welche Sambaschule den Karneval „gewinnt“. Die Wagen sind mindestens doppelt so groß wie die im Kölner Karneval. In der Lagerhalle, wo wir sie besichtigten, waren sie zwar schon halb auseinandergebaut, aber man konnte ganz gut erahnen, wie imposant sie in der Parade wirken – erst recht, wenn auf jedem Wagen bis zu 300 Leute stehen. Da der Karneval in Rio auch ein Wettbewerb ist, will man sich gegenseitig spektakulär. Filigranste Technik erweckt die Puppen auf den Wagen zum Leben. Um diesen Aufwand zu finanzieren, haben die Sambaschulen Sponsoren, gleichzeitig sind sie auch Sozialprojekte. Jugendliche aus den Armutsvierteln werden im Wagenbau unterrichtet, wenn sie gut genug sind, dürfen sie professionelle Wagenbauer werden.

Als wir glaubten, die Führung sei vorbei und ich meinen kompletten Kameraspeicher verbraucht hatte, weil ich verzweifelt das perfekte Bild suchte, was erstens möglichst viele von den schrillen Puppen gleichzeitig zeigt und zweitens nicht unterbleichtet ist (nicht gerade leicht in einem dunklen Lagerraum), kamen sie endlich: DIE SAMBAFRAUEN MIT DEN FEDERHÜTEN. Eilig löschte ich schlechte Fotos, das musste natürlich fotografiert werden. Ging allerdings nicht. Karneval funktioniert hier nicht so wie bei uns: Da kann man sich nicht hinsetzen und Klatschmarsch-klatschend den Mariechen beim Wirbeln zusehen. Hier wird mitgemacht. Die brustoperierten Schönheiten zogen uns zu sich, eine Sambakapelle begann zu hupen – und los ging der Karneval. Tanzen und Polonaisen zwischen den Wagen durch. Was ein Spaß!

Na gut, nicht sofort. Anfangs denkt sich so ein deutscher Journalist natürlich: Alles klar, die wollen sich jetzt kurz darüber amüsieren, wie wir peinlich mit den Hüften wackeln, dann lassen sie uns wieder gehen. Von wegen. Locker 20 Minuten dauerte der Spaß. Und spätestens nach fünf Minuten waren bei jedem so viele Endorphine ausgeschüttet, dass selbst der deutscheste Journalist vergessen hatte, dass er eigentlich niemals so bekloppt tanzen würde. Wollte man kurz eine Pause machen, wurde man gleich wieder in die Gruppe gezogen und zum Weitertanzen gezwungen. Ganz im Ernst: Nach der Aktion waren wir verschwitzter und fertiger als nach drei Kneipenbesuchen an Altweiber. Wenn das in Rio am Karneval SO extrem abgeht, dann MUSS ICH DAHIN!

Ein stillerer Höhepunkt war die Kathedrale von Rio. Die ist faszinierend, weil sie komplett anders aussieht, als die Kirchen, die wir in Deutschland gewohnt sind. Der 70er-Jahre-Bau sieht auf den ersten Blick eher wie ein Kernkraftwerk als wie ein Gotteshaus aus, ist aber trotzdem nicht hässlich. Die Kirche ist eine Betonpyramide, die zu einem Kreuz zusammenläuft. Die Architektur erinnert an eine Tempelanlage – sicher ein Tribut an die Ureinwohner Brasiliens. Innen ist die Kirche schlicht und modern – vier riesige Buntglasfenster bestimmen den Raum und verleihen ihm Würde. Trotz der Schlichtheit wirkt die Kathedrale sehr majestätisch. Sie wirkt beruhigend und erschlägt einen trotz ihrer Größe nicht. Ähnlich wirkt auch der berühmte Christus auf einen, der über Rio wacht (und der der Legende nach in die Hände klatschen wird, wenn die Einwohner der Stadt anfangen zu arbeiten).

Die Kirche sollte anfangen, öfter Christus-Darstellungen zu verbreiten, auf denen Jesus sich den Menschen öffnet und Frieden ausstrahlt. Ich könnte mir vorstellen, dass sich damit mehr Leute identifizieren können, als mit dem Toten am Kreuz, der ja permanent hochgehalten wird. Und es würde der zentralen Botschaft der Kirche auch näher kommen...

Wo ich gerade bei Religion bin: Was glaubt ihr, welches Promi-Paar in der Regenbrogenpresse des hochkatholischen Südamerikas interessanter ist als Brangelina und Tomkat zusammen?

Richtig:

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